In der gültigen Klassifikation der parodontalen Erkrankungen nehmen assoziierte genetische Erkrankungen gottseidank einen nur kleinen Teil des Spektrums ein. Die Häufigkeit dieser Erkranknungsformen ist zumeist sehr gering, sodass manche Erkrankungen von den meisten Behandlern in ihrem gesamten Berufsleben sehr selten oder auch nie gesehen werden.
Schwere kongenitale Neutropenie, auch bekannt als Kostmann Syndrom (Kostmann 1956), ist eine dieser genetisch assoziierten Erkrankungen mit parodontaler Beteiligung. Es handelt sich zumeist um eine autosomal rezessiv (HAX1 Mutation) oder autosomal dominant (ELA2 Mutation) auftretende Mutation, die mit einer Inzidenz von ein bis zwei Individuen (männlich wie weiblich) pro einer Million Menschen auftritt (Boxer 2006). Durch die verminderten bzw. nicht vorhandenen neutrophilen Granulozyten sind diese Menschen sehr stark von bakteriellen Infektionen betroffen und besonders von jenen, die am Zahnhalteapparat entstehen. Bei Letzteren reicht das Spektrum von persistierender Gingivitis bis hin zu aggressiver Parodontitis mit häufigem Zahnverlust in bereits jungen Jahren.
Die Erkrankung wird meist rasch nach der Geburt diagnostiziert und mittels genetischer Analyse bestätigt. Die meisten der Patienten haben heutzutage dank neuer Behandlungsmethoden [z.B.Dauer-Substitution eines Granulozytenwachstumsfaktors (Granulocyte -colony stimulating factor; GCSF)] eine weitaus höhere Lebenserwartung als früher.
Der nachfolgende Fall ist anhand von zwei OPTGs im Alter von 5 und 12 Jahren dargestellt. Die zahnärztliche Anamnese reicht in das frühe Kindesalter zurück; bereits alle Milchzähne mussten mit schweren Entzündungen entfernt werden. Die bleibende Dentition konnte durch gute Vorsorge, permanente Aufklärung und parodontales Recall trotz fortgeschrittener Destruktion des Parodonts bislang erhalten werden. In Phasen von großflächigen, akuten Entzündungsprozessen wurde die Therapie mit prophylaktischer und adjuvanter Antibiose durchgeführt. Nicht nur dentale Infektionen und Abszedierungen musste das Kind schon durchstehen, auch Tonsillar-Abszesse und mehrere subkutane Abszesse am gesamten Körper zeichnen den schweren Erkrankungsverlauf.
Abbildung 1. Kind im Alter von 5 Jahren. Stark destruierter Alveolarknochen der ersten Dentition.
Abbildung 2. Kind im Alter von 12 Jahren. Der weit fortgeschrittene Abbau des unterstützenden Alveolarknochens ist auch an der bleibenden Dentition schon weitgehend sichtbar.
Trotz G-CSF Therapie und auch bei normalen Laborwerten bezüglich der neutrophilen Granulozyten muss für diese spezielle Patientengruppe eine engmaschige, professionelle und zum Teil „aggressive“ Therapie im Vordergrund stehen, um weitreichender Zerstörung des parodontalen Gewebes vorzubeugen (Carlsson 2006). Die Therapie sollte immer mit den behandelnden Kinderärzten bzw. Onkologen abgeklärt werden um bakterielle Aussaat und damit verbundene schwerwiegende Komplikationen nach parodontaler Therapie zu vermeiden. Im Zweifelsfall sollte die Überweisung an ein universitäres Zentrum bzw. zum Spezialisten erfolgen.
Literatur
Kostmann R. Infantile genetic agranulocytosis; agranulocytosis infantilis hereditaria. Acta Paediatr Suppl. 1956 Feb;45(Suppl 105):1-78.
Boxer LA, Stein S, Buckley D, et al: Strong evidence for autosomal dominant inheritance of severe congenital neutropenia associated with ELA2 mutations. J Pediatr. 2006 May;148(5):633-6.
Carlsson G, Wahlin YB, Johansson A, et al. Periodontal disease in patients from the original Kostmann family with severe congenital neutropenia. J Periodontol. 2006 Apr;77(4):744-51.